
Seit einigen Jahren werden „Purpose driven organisations with authentic people“ immer populärer. Was aber steckt hinter dem Trend, dass Organisationen versprechen, dass sie zu ihrer Sinnerfüllung nicht mehr nur Mitarbeiter haben wollen, sondern bei ihnen der ganze Mensch nicht nur willkommen ist, sondern im Mittelpunkt steht?
Gut gestaltete Arbeit macht Sinn!
In einem Umfeld, in dem es durch den Einsatz digitaler Tools und Methoden und die Nutzung moderner, arbeitsteiliger Kooperationskonzepte zunehmend schwer fällt, den Wirk- und Wertbeitrag des Einzelnen zu identifizieren, ist ein Wunsch nach mehr Sinn zunächst durchaus einleuchtend. Es stellt sich nur die Frage, ob ein Unternehmenspurpose (neudeutsch für Sinn und vielleicht noch ein bisschen mehr) diesem Wunsch gerecht werden kann. Handelt es sich doch um das Sinnerleben jedes Einzelnen (richtiger wäre es, wie sich gleich zeigen wird, hier von Organisationsmitgliedern zu sprechen) und nicht das der Organisation. Deren Sinn liegt, zumindest wenn es sich um wirtschaftliche Unternehmungen handelt, meist darin, mit dem Verkauf von Produkten und/oder Dienstleistungen einen Gewinn zu erwirtschaften. Wozu da noch einen übergeordneten Sinn, der fast immer so abstrakt ausgestaltet ist, dass ihm niemand ernsthaft widersprechen könnte. Ihn gleichzeitig aber auch jede und jeder so interpretieren kann, wie es ihr/ihm beliebt. Uns fällt es schwer zu glauben, dass ein solcher Sinn es vermag, das Sinnempfinden der in Organisationen tätigen Menschen so zu verbessern, dass der/die Einzelne seinen Wirk- und Wertbeitrag kennt und so seine Arbeit als sinnhaft erlebt.
Nach den Erkenntnissen der Arbeits- und Organisationspsychologie braucht es für erfüllende Arbeit keinen übergeordneten Sinn, sondern Arbeit, die zum Beispiel entsprechend der fünf Kernmerkmale:
- Anforderungsvielfalt,
- Aufgabengeschlossenheit,
- Bedeutsamkeit der Arbeit für die Kunden und Kollegen,
- Autonomie und
- Rückmeldung durch die Tätigkeit
gestaltet ist (Hackman und Oldham (1980)). So gestaltete Arbeit, wird in aller Regel unsere psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit befriedigen (Ryan und Deci (2000)) und damit als selbstbestimmt, motivierend und erfüllend erlebt.
Wir von think[AD]wise® finden deswegen, dass ein Purpose für das Image einer Unternehmung sicher unerlässlich ist, für nachhaltig erfüllende Arbeit jedoch gilt: Gut gestaltete Arbeit macht Sinn!
Wer den gesamten Menschen möchte, muss sich auch mit dem gesamten Menschen auseinander setzen.
Auch beim zweiten Versprechen, der ganze Mensch sei, so wie er ist – mit all seinen Ecken, Kanten und Eigenwilligkeiten etc., kurz authentisch eben – im Unternehmen nicht nur willkommen, sondern im Mittelpunkt stehend, ist eine gesunde Portion Skepsis angebracht. Bei genauer Betrachtung wird recht bald deutlich, dass weder das Unternehmen / die Organisation noch das einzelne Organisationsmitglied daran Interesse haben kann. Für die Organisation ergeben sich aus dem Wunsch nach authentischen, „ganzen“ Mitgliedern einige Probleme. So kann sie, wenn sie den ganzen Menschen in der Organisation haben möchte, nicht darauf bestehen, dass dieser nur seinen professionellen Teil in die Organisation einbringt. Vielmehr muss sie dann auch sämtliche Eigenarten und Verhaltensweisen akzeptieren, die sonst nur in anderen, vorzugweise „privaten“ Umfeldern gezeigt werden. Auch muss auf Belange, die eindeutig außerhalb der Organisation zu verorten sind, Rücksicht genommen werden. Hier stellt sich jeweils die Frage, ob eine Organisation dies leisten kann und leisten will.
Für uns von think[AD]wise® gilt daher: Wer den gesamten Menschen möchte, muss sich auch mit dem ganzen Menschen auseinander setzen.
Bringe dein Rollen-Ich ganz, nicht aber die ganze Person ein!
Und auch für Organisationsmitglieder ist die Aufforderung sich ganz einzubringen nicht unproblematisch. Denn wenn auf außerorganisationale Belange Rücksicht genommen wird, geben Organisationsmitglieder zumindest einen Teil ihrer Autonomie gegenüber der Organisation auf (Ortmann, 2022). Auch die Abgrenzung von Arbeits- und Privatleben wird beim Einbringen der ganzen Person nicht gerade einfacher. Während die professionelle Arbeitsrolle z.B. die Erstellung einer Präsentation verlangt, spielen bei der ganzen Person beispielsweise auch die Vorbereitung des Geburtstags der Tante 3. Grades oder die Planung des nächsten Urlaubs eine wichtige Rolle. Bei einer Vermischung von ganzer Person und organisationaler Rolle, dürfte eine Abgrenzung und Prioritätensetzung nicht immer ganz leicht fallen. Auch Wertaussagen oder die oben beschriebenen Purpose-Versprechen können, wenn sie sich nicht mit den persönlichen Werten decken, zu Abgrenzungsproblemen und Dissonanzen bei den Organisationsmitgliedern führen, denn diese lassen sich nicht mit der professionellen Rolle als Organisationsmitglied erklären, sondern müssen von der ganzen Person geteilt werden.
Insofern sind wir von think[AD]wise® uns einig: Bringe dein Rollen-Ich ganz, nicht aber die ganze Person ein!
Wenn unser kurzer Beitrag Sie/Euch neugierig auf das Thema und unsere Sicht machen konnte, freuen wir uns über einen Kommentar und/oder auf einen vertieften Austausch mit Ihnen/Euch.
Kontaktdaten: marcel.rosteck@thinkadwise.de oder Tel. 01590 / 67 55 324
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- Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American Psychologist, 55(1), 68–78. https://doi.org/10.1037/0003-066X.55.1.68
- Hachman, J. R. & Oldham, G. R. (1980). Work redesign. Reading, MA; Adison-Wesley
- Ortmann, G. (2022). Luhmann und die Menschen, ihre Zähne und Zungen. Versus – Magazin für kritische Organisationspraxis, 08.04.2022. (abgerufen am 12.01.2023: https://versus-online-magazine.com/de/artikel/luhmann-und-die-menschen/ )
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